Konzeptgruppe "Dynamik & Stabilität"
Die Konzeptgruppe "Dynamik und Stabilität" befasst sich einerseits mit der Sammlung und Beschreibung von Arten von Dynamik, zum Beispiel mit Expansions-, Transfer-, Intensivierungs-, Stufungs-, Wachstums- und Verfallsprozessen. Andererseits soll der Begriff der "Dynamik" selbst hinsichtlich seiner Voraussetzungen und seines heuristischen Wertes für die Untersuchung der Religionsgeschichte untersucht werden. Vielfach dient der Gebrauch von "Dynamik" in der Religionsforschung nur als Alteritätsindex der eigenen Unternehmung gegenüber anderen als statisch bezeichneten Versuchen und soll verhindern, dass religiöse Traditionen als räumlich und zeitlich unveränderliche, scharf abgrenzbare Einheiten betrachtet werden. Eine eingehende Reflexion auf diesen erkenntnisleitenden Begriff für die Kulturwissenschaften ist Desiderat, das zu bearbeiten sich die Konzeptgruppe zur Aufgabe gemacht hat.
Besonderes Augenmerk liegt sowohl auf der Materialebene als auch auf der Ebene wissenschaftlicher Metasprache, auf dem Wechselverhältnis von Dynamik und Stabilität. Die Frage ist unter anderen, was für eine Art begrifflicher Stabilität nötig ist, um religiöse Traditionen unter der Perspektive von "Dynamik" angemessen identifizieren und beschreiben zu können.
Insbesondere gilt es den Begriff eines religiösen "Attraktors" als ein sowohl dynamisches als auch stabiles Objekt wissenschaftlicher Untersuchung für das leitende Thema der ‚Dynamiken der Religionsgeschichte' nutzbar zu machen. Der Peirce'sche Begriff eines dynamic object, welches eine attraktive und attrahierende chain of signs generiert, scheint geeignet, eine solche Dynamik auf Attraktorenbasis zu beschreiben.
"Dynamik" ist wesentlich ein zeitlicher und räumlicher Relationierungsbegriff. Phasen der Stabilisierung wechseln sich in der Entwicklung mit Phasen der Dynamisierung ab. Für analytische Zwecke kann man drei Grundarten von Dynamik unterscheiden.
- inhärente Dynamik (Entwicklung, Wachstum, Verfall, Differenzierung etc.)
- externe Dynamiken (Einfluß der Außenwelt: Abgrenzung, Inklusion etc.).
- Transferdynamiken, die in bestimmter Weise (Schema, Formular) inhärente und externe Dynamiken kombinieren
Diese Arten können in Bezug auf push and pull factors, d.h. Phänomene von Impetus und Attraktion untersucht werden. Sie manifestieren sich in Situationen religiösen Kontaktes und geben Anlass zur Entstehung materialer Objekte, die als dynamische Kristallisationen bzw. Verdichtungen die Grundlage der wissenschaftlichen Untersuchung sind. Verdichtungen bedeuten Intensivierung des Ausdrucks. Signifikante Prozesse hierbei sind Sakralisierung und Selbstreferenzialisierung.
Die weiteren Aufgaben der Konzeptgruppe waren die Folgenden:
- Weiterentwicklung des semiotischen Ansatzes zur Beschreibung der Dynamik religiöser condensed signs mit Hilfe des Begriffs des dynamic object,
- Anwendung des von Simmel aufgezeigten Prozesses der Axialrotation zur Kennzeichnung religiöser Dynamik,
- Untersuchung spezifisch zeitlicher horizontaler Dynamiken (Verdichtung durch Interpretation) der Religionsgeschichte,
- Weiterentwicklung eines vertikalen dynamischen Schichtenmodells (evolutionary scheme) von Religion als Wechselwirkungen von Attraktions- und Reperkussionsprozessen.