Neuordnungen des Wissens in Korea in der Auseinandersetzung mit der "Westlichen Lehre"
Um die Perspektivbegrenzung des Religionsbegriffes westlicher Genese zu unterlaufen, unternimmt dieses Projekt, die Geschichte der koreanischen Auseinandersetzung mit dem Christentum in den größeren Rahmen der Wissensordnung und ihres Wandels einzubetten. Unter Betrachtung ist die Zeit von der ersten Berührung mit Pekinger Jesuiten im 17. Jh. bis zur Etablierung eines meist von Protestanten umgesetzten westlichen Bildungsmodells in Korea in den Jahrzehnten vor der Kolonialisierung Koreas (1910), die heuristisch in drei Phasen unterteilt wird. Für die erste Phase der vorwiegend intellektuellen Auseinandersetzung mit den "westlichen Lehren" (von den Anfängen bis zum Ende des 18. Jh.) sollen vor allem Werke der ordnenden Darstellung größerer Ausschnitte des verfügbaren Wissens ("enzyklopädische Werke") betrachtet werden. Dies scheint am ehesten eine Erfassung und Berücksichtigung der Zusammenhänge, in denen Chosǒn-zeitliche Gelehrte die westlichen Lehren wahrnahmen und einordneten, zu gewährleisten. Dabei wird es immer auch darum gehen, weniger offensichtliche Stränge der in Korea wirksamen Traditionen zu identifizieren, die durch das Einwirken der "westlichen Lehre" unmittelbar oder mittelbar berührt werden. Von der dadurch geleisteten Definition der Kontaktbereiche ausgehend sollen dann für die zweite, von koreanischer Selbstmissionierung einerseits und Christenverfolgungen andererseits gekennzeichneten Phase (ausgehendes 18. bis späteres 19. Jh.) auf der Basis einer Vielzahl von Materialtypen sowohl die Reaktionen der Gelehrtenwelt im Allgemeinen als auch die identifizierbar religiöser Kreise - der erstarkenden Buddhisten, der in Schreckstarre verfallenden orthodoxen Konfuzianer und der als direkte Antwort auf das Christentum entstandenen Tonghak - untersucht werden. Die letzte Phase der v.a. protestantischen Mission unter den Bedingungen der Landesöffnung ist geprägt von einem Wandel der Leitmedien von Kulturtransfer und Wissenswandel (Zeitungen, Zeitschriften, Schulbücher), wird aber auf die gleichen Fragestellungen hin zu betrachten sein, als da wären: - Wanderung und Wandel von Memen und Argumentationsformen - Begrifflichkeiten und Begriffsgeschichte, insbesondere betreffend die Begriffe für "Lehre" bzw. "Religion", "Schicksal" bzw. "Vorsehung", "Gott/ Gottheit", "Seele", "Person" - Bemühungen um Klarstellung, Abgrenzung, Verstärkung zu Identitätsmarkern von bestimmten Inhalten/ Sozialformen/ Handlungsformen der je eigenen Tradition. Daneben sollen auch wissenssoziologische Fragen berücksichtigt werden (Akteure des Wissens- bzw. Glaubenswandels und ihre Interessen, Funktionen sozialer Netzwerke im Religionstransfer, etc.)
Wesentliche Ziele des Projekts sind: eine Beschreibung der Inkulturation christlicher Glaubens- und westlicher Wissensinhalte in Korea, die durch den weitgespannten historischen Rahmen und die Vermeidung einer Zerlegung der Wissensordnungen in Bereiche der "Religion", "Philosophie/ Ethik" und "(Proto-)Wissenschaft" den epistemischen Umbrüchen besser gerecht werden mag als stärker spezialisierte Untersuchungen; in diesem Rahmen Beiträge zur Geschichte und Typologie der Religionskontakte; Reflexion sozialer und medialer Bedingungen und Begleiterscheinungen von Wissenswandel (inklusive Glaubenswandel); Beiträge zur Geschichte der Aneignung des westlichen Religionsbegriffs in außereuropäischen Gesellschaften; Versuch der Umsetzung der Idee einer nicht-eurozentrischen, Begriffsgrenzen transzendierenden Religionsgeschichtsschreibung