Neues Testament und Mysterien

Dieses Projekt will nicht allein nach sprachlichen und inhaltlichen Motiven der Mysterien im Neuen Testament fragen. Es soll den Befunden auch kein Entwicklungsschema übergelegt werden, sondern diese sollen mit Kategorien des Forschungskollegs gedeutet werden. Dabei wird die Erkenntnis vorausgesetzt, dass das Christentum als Teil des Judentums entstand, welches sich schon lange mit den Mysterien auseinander setzte und bereits Traditionen der Rezeption und Abgrenzung und weiterer komplexer dynamischer Interrelationen entwickelt hatte. Im Traditionsgeflecht des Judentums spielte der Hellenismus eine entscheidende Rolle. Auf dem Boden des Hellenismus stehend entwickelte die entstehende Kirche gegenüber den Mysterien eine besondere Elastizität. Sie nutzte deren Sprachformen und Inhalte für ihre missionarisch-kommunikativen Ziele, aber auch aus genuin theologischen Gründen. Sowohl bei Paulus als auch im Johannesevangelium, im Markusevangelium und in der Apostelgeschichte zeigen sich an vielen Stellen Anleihen an die Mysterien. Der Rekurs auf die Mysterien erfolgte dabei nicht nur in sprachlicher Hinsicht, sondern auch in der Entfaltung wichtiger theologischer Gedanken wie z. B. der Deutung des Todes und der Auferstehung Jesu Christi durch das Wort vom Samenkorn, das sterben muss, um Frucht zu bringen (Joh 12,24). Solche Anleihen bei der Mysterienterminologie dienten auch Paulus zur soteriologischen Deutung des Todes und der Auferstehung Christi. So rekurrierte er zumindest terminologisch auf den in den Mysterien religiös thematisierten, neues Leben hervorbringenden Zyklus von Fruchtbarkeit, Geburt, Sterben, Tod. An solchen Phänomenen wird sich eine mehrfache Spannung von Festsetzung, Verstärkung, Aufweichung und Überschreitung von Grenzen herausarbeiten lassen: Der exklusive Monotheismus des Judentums und der Jesusbewegung rezipiert hermeneutische Muster aus der Umwelt für die Ausgestaltung der eigenen Antworten auf Grenzfragen des Lebens. Zugleich wird unter anderem dadurch die Fähigkeit zur kommunikativen Durchdringung der römischen Welt gefördert, ohne dass die sehr scharfen Grenzen der frühen Kirche gegenüber den Praktiken ihrer religiösen Umwelt aufgegeben worden wären. Allerdings entwickeln sich aufgrund solcher Prozesse gerade entlang dieser Grenzen große Dynamiken. Dieses Projekt will in historischer Perspektive einen Beitrag zur Erforschung der Wechselwirkung von religiöser Identitätssicherung und Pluralisierung leisten.

Dabei untersucht es besonders die Fragen, bei welchen sprachlichen und inhaltlichen Mysterienmotiven im Neuen Testament es sich um unbewusste Diffusionen handelt und wo mit missionarisch-argumentativen Strategien oder sogar theologischen Konzepten zu rechnen ist. In Joh wird untersucht, ob sich nicht durch das ganze Evangelium hindurch eine gezielte Auseinandersetzung mit Dionysosmysterien mit dem Ziel der überbietenden Konkurrenz durch Jesus Christus nachweisen lässt. Bei Markus wird gefragt, ob das sogenannten Messiasgeheimnis nicht in engstem Kontext zum Geheimnis der Mysterien neu interpretiert werden muss. Auch bei Paulus wird zu fragen sein, ob er sich aus theologischen Gründen dort der Mysterienmotive bedient, wo er argumentiert, dass aus dem Tod neues Leben entstehen kann. Auch die Apostelgeschichte soll umfassend untersucht werden. Allerdings wird hier vermutet, dass die zahlreichen Assoziationen zu den Mysterien rhetorisch-missionarischen Zielen dienen. Im römisch-hellenistischen Kulturraum wurden religiöse Erneuerungen und Neuheiten traditionell aus dem Osten erwartet. Der vorderasiatische Raum spielte hier neben Ägypten die führende Rolle. In dieser "ex oriente lux" (beziehungsweise Heil) Erwartung kam in religiöser Hinsicht nicht nur den Mysterien, sondern auch dem Judentum und dem entstehenden Christentum eine besondere Bedeutung zu. Solche Entwicklungen zwischen Asien und Europa erzeugten eine Vielfalt und Komplexität von dynamischen Prozessen, die durch die Dynamiken zwischen Judentum, entstehendem Christentum und Mysterien untereinander zusätzlich multipliziert worden sind. Dieses Projekt erforscht innerhalb dieses dynamischen Geflechts die Rezeption und Weiterbearbeitung der Mysterien beziehungsweise von Mysterienelementen im Neuen Testament.

Beteiligte Personen

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Prof. Dr. Peter Wick

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