Kontinuität und Transformation antiker Religionen im Christentum
Das politisch-religiöse Konzept des Christentums mit all seinen Anschlußoptionen, die in verschiedenen Epochen zunächst der europäischen Geschichte dem gesellschaftlichen und politischen Leben seine christliche Erscheinungsformen ermöglichten, ist in vielerlei Hinsicht selbst synthetisch zu verstehen, nämlich als von verschiedenen antiken kulturellen und politischen Systemen geprägt. Dabei wirkten neben der jüdischen Kultur und Religion vor allem orientalische Konzepte von Monarchie und damit verbundene irdische "Erlösungs"-erwartungen und plural-konsensuale politische Konzepte der griechischen Polisgesellschaften mit ihren polytheistischen religiösen Vorstellungen auf das entstehende Christentum. Hinzu tritt nach der "Gründung" des Christentums als Bedingung für die universale Verbreitung der neuen Religion das politisch-religiöse Konzept "Rom" mit seinen universalistischen Ansprüchen. In einem ersten Schritt werden Elemente aus dem Orient wie die Mysterienkulte und die Vorstellung vom Herrscher, wie sie sich in den Dynastien und Gründerkulten der östlichen Reichshälfte ausformten, in ihren Auswirkungen auf das Christentum analysiert. Die Entdeckung der Bedeutung des Einzelnen im Kultgeschehen und der Wunsch nach einer besseren, jenseitigen Welt, wie sie die Mysterienkulte bieten und das Konzept vom Herrscher als Pantokrator, das in der Person Christi entfaltet wurde, werden im Christentum zu regelrechten Grundmustern Rom griff als ordnende Macht nachhaltig in die Welt des Mittelmeers ein. Ihren Erfolg suchten die Römer in der Treue zu den Göttern, die sie sich durch die korrekte Ausübung in der Kultpraxis sicherten. Die Begriffe Orthopraxie und innere Haltung spiegeln zwei Konzepte christlicher Religion, die erst im Rückgriff auf antike Vorbilder vereinbar werden. Die Analyse der Funktionsweisen antiker polytheistischer Religion als Garant für den Erhalt politischer Ordnung sowie der Transformation antiker religiöser Ideen in ein Geflecht christlicher Wertvorstellungen und Normen tragen dazu bei, Chancen und Grenzen religiöser Systeme nicht allein als religiöse Phänomene zu beobachten, sondern in synchronen und diachronen Vergleichen darzulegen und auch in ihrer politischen Qualität zu erklären.
Die christliche Religion als religiöses System mit starkem politischen Potential entsteht aus einer Vielzahl von gesellschaftlichen politischen und nicht zuletzt religiösen Orientierungen und Erwartungen, findet aber dennoch oder gerade deshalb zu einer für alle erkennbaren Identität. Ziel des Projektes ist es, das Christentum in seinen antiken Ursprüngen zu verstehen und seiner grundsätzlichen Andersartigkeit aus antiken Formen und Konzepten zu erklären. Die strukturellen und prozessualen Bedingungen der Entstehung des Christentums zunächst als Erlösungskonzept und schließlich als "religio sine fine", als universalistische Erbin römischer Religion, sind zu untersuchen; es ist dabei besonders darauf zu achten, welche Dynamik in den Adaptions- und Inklusionsabläufen sichtbar wird. Religion und Gesellschaft bedingen einander. Auf dieser Erkenntnis basiert der methodische Zugriff auf das Christentum als permanent im Entstehen begriffenes umfassendes soziales Konzept, das politische, soteriologische, soziale, mythische, philosophische und zahlreiche weitere Elemente enthält. Daraus resultiert ein neues Instrumentarium zur Untersuchung und Erklärung von Wechselwirkungen und Entwicklungen dieses und vermutlich auch anderer religiöser Konzepte. So soll das Projekt auch Erkenntnisse liefern, die Untersuchungen gegenwärtiger Beziehungen von Religionen und ihnen fremden politischen Systemen methodisch erleichtern, etwa die Beurteilung der Kompatibilität von Monotheismus und Demokratie.