Bericht | Workshop: Religio licita?
Bericht von Mereth Strothmann und Görge Hasselhoff:
Anknüpfend an einen ersten Workshop zu einer These von Doron Mendels, der die sprachliche Differenzierung der Sprachräume in Ost und West für die Separierung und Etablierung von Judentum und Christentum als eigene Identitäten verantwortlich macht, im Oktober 2012 wurde nun in einem zweiten Workshop „Religio licita? Rom und die Juden vom Pompeius bis Konstantin“ die Fragestellung um einen neuen Aspekt erweitert. In der römischen Antike wurden die Anhänger jüdischer Glaubensvorstellungen zwar von römischer Seite einerseits mit Privilegien ausgestattet, andererseits aber standen die Juden häufig unter einem Vorbehalt, wie sich aus den von Menahem Stern gesammelten griechischen und lateinischen antijüdischen Schriften ablesen lässt. Karl-Leo Noethlichs hatte im Rahmen des ersten Workshops auf die Bedeutung der Rechtstexte für die Wahrnehmung der Juden verwiesen, mittels derer ihr Status nicht generell eingeschränkt wird, sich aber auch signifikante Ausnahmen finden lassen. Deswegen wurde nun weiter gefragt, wie einerseits die römische Sicht auf die Juden war und wie andererseits Veränderungen innerhalb des Judentums durch den Einfluss Roms bemerkbar wurden. Ziel des Workshops war es vor allem, durch den Fokus auf Rom Begriffe wie ‚religio’ oder ‚superstitio’ schärfer zu fassen und in der Auseinandersetzung mit Rom innerjüdische Prozesse sichtbar zu machen.
BENEDIKT ECKHARDT wies in seinem Vortrag auf die Problematik des Ethnos-Begriffs hin, der häufig in der Forschung auf die Juden allgemein angewandt wird. Es muss jedoch differenziert werden zwischen der Religionsgemeinschaft der Juden, die von den Römern nie insgesamt, sondern stets punktuell und temporär mit Sonderrechten ausgestattet wurde, die immer wieder erneuert werden mussten und den Stadtgemeinden der Juden, die individuell im Rahmen der römischen Verwaltung berücksichtigt wurden. Meist waren es Beziehungen und Verhältnisse römischer und jüdischer Machthaber untereinander, die das politische Gefüge bestimmten. Herodes und Agrippa zum Beispiel waren in enger ‚amicitia’ verbunden und so bestätigte Agrippa den Juden „unbehelligt nach ihren eigenen Sitten zu leben“, wie Eckhardt die Passage aus den Antiquitates Judaicae 16, 60 des Josephus auslegte. Ein neues Licht warf Eckhardt auf die Rechtsstellung, indem er die Judäer als Vereine verstand und auf der Quellengrundlage von Josephus, Antiquitates Judaicae 14, 235 Vereinsrecht als gültiges Recht ihnen gegenüber in Anschlag brachte. Diese Sicht verspreche weitere Aufschlüsse über die Beziehung zwischen Römern und Judäern.
KARL-LEO NOETHLICHS beurteilte die Rechtsstellung der Juden im Römischen Reich sehr differenziert mit Blick auf die einzelnen Regionen. In Judäa selbst wurden die Privilegien der Juden lange geschützt, sie erhielten die Erlaubnis sich zu versammeln, waren von der Einquartierungspflicht befreit und die Eintreibung der Sondersteuer wurde von den römischen Behörden unterstützt. Auch nach der Umbenennung Jerusalems in Aelia Capitolina wurden die Sonderrechte für die Juden nicht eingeschränkt. Durch die constitutio Antoniniana wurden auch alle Juden zu Römern. In diesem Kontext lohne der Blick auf Africa, das immer eine Sonderstellung einnahm. Noethlichs bewertete die Rechte der Juden in den einzelnen Reichsregionen stets mit scharfem Blick auf den Wortlaut der Gesetze, hier unter anderem des Codex Theodosianus, in dem auch Widersprüche aufgenommen wurden, was ihn besonders interessant mache, und des Codex Justinianus, der eher eine bereinigte Momentaufnahme liefere. Der Blick auf die Juden durch die römische Gesetzgebung gebe immer wieder die Möglichkeit, den Abspaltungsprozess des Christentums eingehender zu diskutieren.
ANDREAS BENDLIN lenkte mit seinem Beitrag den Blick auf die Hauptstadt selbst und argumentierte quellengestützt gegen ein harmonisches Zusammenleben der Stadtrömer mit den judäischen Migranten. Dabei suchte er keinen Schuldigen für die Konflikte, sondern stellte vielmehr nüchtern fest, dass judäische Sitten in Rom nicht einfach integriert wurden, so wurden zum Beispiel Judäer immer abgesondert von anderen bestattet. Bendlin konstatierte - abgesehen vom Judenexkurs des Tacitus, der die Oberschicht betraf - eine antijudäische Stimmung in Rom, und zwar gerade von Seiten der stadtrömischen Bevölkerung aus. Durch präzise Untersuchung der Sprache auf judäischen Grabsteinen und -tafeln wies er Differenzen zwischen den Gruppierungen nach, unter anderem JIWE 2, 343 und JIWE 2, 608. Mit den Ergebnissen seines Beitrags ist die Frage nach einer gelungenen Integration judäischer Migranten in Rom neu zu stellen.
In die germanischen Provinzen der beginnenden Spätantike führte der öffentliche Abendvortrag von WERNER ECK. Vor allem gestützt auf die Passage aus dem Codex Theodosianus 16,8,3, den Erlass über die Erlaubnis, die Juden in den Stadtrat zu berufen, hielt Eck fest, dass ohne einen gewissen jüdischen Anteil in der Bevölkerung der Stadt Köln ein solcher Passus keinen Sinn ergeben würde. Interessanterweise spreche dies gegen die epigrafische Evidenz: es gebe keinen einzigen sicheren inschriftlichen Beleg für jüdische Personen aus dem Raum Gallien und Germanien aus dem 1.-3. Jahrhundert n.Chr. Eck rekonstruierte minutiös die politische und historische Situation am Vorabend des Erlasses. Auch gegen ihren Willen durften in Köln Juden in den Stadtrat aufgenommen werden und waren am urbanen Leben beteiligt. Demgegenüber wurden 313 christlicher Kleriker von den Stadtratspflichten befreit, gut zehn Jahre später, 326 n.Chr. wurde dieses Privileg jedoch durch den Kaiser zurückgezogen. Der Nachweis der Präsenz politisch relevanter Gruppen ohne jeglichen epigrafischen Niederschlag demonstriert einmal mehr den umfassenden Anspruch an den Historiker, die wenigen vorhandenen Quellengattungen zu sichten und die Quellen in ihrer ganzen Tragweite auszuloten.
In ihrem Beitrag zu „Nero, die Juden - und die Christen“ diskutierten SEBASTIAN CHATSMAN und MERET STROTHMANN den Zeitpunkt der Trennung zwischen Juden und Christen. Der Beitrag versuchte, die Trennungskonditionen aus dem Blickwinkel der Motivation der jeweiligen Gruppierungen genauer zu betrachten. Die Juden wurden als die Hauptnutznießer einer - der These entsprechenden - frühen Trennung bis zu Nero klassifiziert. Danach fand eine Adaption des Begriffs ‚chrestiani’ durch die Christen statt, um sich nun selbst von den Juden aufgrund der ausbleibenden Parusie zu differenzieren und glaubwürdig in die Tradition der Märtyrer zu stellen. Die Römer selbst hatten zunächst kein direktes Interesse an der Differenzierung zwischen den beiden Gruppen, jedoch waren sie diejenigen, die durch ihre Anerkennung zweier Gruppen die Trennung unter politischen Aspekten erst vollkommen machten. An den Beitrag schloss sich eine kontroverse Diskussion an.
Ziel des Beitrags von CHRISTOPHER WEIKERT war es, das Verhältnis der flavischen Kaiser zu den Juden im Hinblick auf die Selbstdarstellung der neuen Dynastie zu untersuchen und ihren Umgang mit den Juden zu reflektieren. Der flavische Erfolg in Judäa durch Vespasian und seinen Sohn Titus rückte schon allein durch die nun möglich gewordene Realisierung gigantischer Bauprojekte in Rom in den Mittelpunkt kaiserlicher Selbstdarstellung - sehr anschaulich werde der Sieg in den Münzabbildungen gezeigt (RIC 22,1 V 167; 212). Demgegenüber stehe die Tradition in der Übernahme der Politik des ersten Princeps gegenüber den Juden, der sich ihnen gegenüber sehr nachsichtig gezeigt hatte. Hier betonte Weikert, dass Domitian wohl gegen die Proselyten, nicht aber gegen die Juden allgemein agierte. Damit seien auch die Argumente des harten Einzugs der Judensteuer, wie Sueton es formulierte und das Vorgehen gegen Flavius Clemens kanalisiert. Die geplante Judenverfolgung durch Domitian verwies Weikert ins Reich der Legenden.
Einen höchst interessanten Einblick in die wenig beachtete Ausgrabung von Beit Nattif gewährte ACHIM LICHTENBERGER. Er präsentierte Fundstücke aus einer dort ansässigen Terrakottawerkstatt, deren figürliches Dekor Anlass zu Vermutungen gebe. Die Ikonografie auf den gefundenen Darstellungen sei gerade nicht griechisch-römisch geprägt, sondern es sei deutlich ein eigener Stil erkennbar, der gegen eine Anlehnung an Vorbilder aus der Provinz spreche. Mehrere Deutungsvarianten ergäben sich. Jüdische Künstler könnten für ein paganes Publikum gearbeitet haben, umgekehrt könnten aber auch heidnische Handwerker im jüdischen Auftrag die Stücke angefertigt haben. Es sei jedenfalls vorstellbar, dass Volksfrömmigkeit - und zwar auch die jüdische - mit figürlichen Darstellungen ausgelebt wurde, was ein völlig neues Licht auf die Formen der Gottesverehrung im Judentum werfe.
SVEN GÜNTHER problematisierte den Begriff der „Judensteuer“ und trennte ihn strikt vom ‚fiscus Iudaicus’, der eine Institution zur Erhebung der Abgabe für die Juden darstellte. Hier würden vor allem Josephus, Bellum Iudaicum 7, 218f, und Cassius Dio 65 (66) 7,2, wichtig. Der ‚fiscus’ wurde im Zug des Jüdischen Krieges durch Vespasian eingerichtet. Zunächst war er zur Wiedererrichtung des Tempels für Jupiter Capitolinus geplant, wurde dann aber zum Kontrollinstrument der Römer gegenüber den nun verstreuten Juden. In der literarischen wie inschriftlichen, papyrologischen und numismatischen Überlieferung zeigten sich dabei die strikte Reglementierung durch Domitian (Suet. Dom. 12, 1f.), aber auch eine Entspannung durch Nerva. Diese Prozesse ließen Rückschlüsse auf die innerrömische Wertung der Herrschaftskonzeptionen des letzten Flaviers und ersten Adoptivkaisers seitens der Senatsaristokratie zu.
Eine exegetische Detailstudie lieferte GÖRGE HASSELHOFF, der den Blick auf die Diskrepanzen in der Darstellung der jüdischen Aufstände in Nordafrika und der Provinz Judäa in den Jahren 115-117 sowie 132-135 n.Chr. bei Eusebios von Caesarea einerseits und Cassius Dio andererseits richtete. In der Forschung werde zumeist von der Darstellung Eusebs in der Kirchengeschichte ausgegangen, obgleich diese Darstellung Differenzen zu derjenigen im Chronikon aufweist. Hier nun könnte die Darstellung bei Cassius Dio, die mitunter als übertrieben angesehen wird, ein wichtiges Korrektiv bilden. Es habe den Anschein, dass Euseb den möglicherweise sehr viel erfolgreicheren Aufstand unter Trajan marginalisierte, wohingegen er Ursachen und Folgen des Bar Kochba-Aufstandes vertauschte. Ein Grund könnte in den unzuverlässigeren Quellen und einem bewussten theologischen Programm zu finden sein.
Der Workshop war sehr gut besucht und alle Beiträge wurden konstruktiv und sehr breit diskutiert. In den meisten Beiträgen wurden jüngere und ältere Forschungshypothesen auf den Prüfstand gestellt und Texte und Artefakte neu interpretiert. Obgleich nicht in allen Fällen Konsens erzielt wurde, waren sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer darin einig, dass die Vorträge zu einem Erkenntnisgewinn geführt haben. Zu gegebener Zeit soll daher eine Dokumentation des Workshops publiziert werden.
Zuerst erschienen auf H-Soz-u-Kult: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=5052